Das Pferd lahmt? Die Kuh gibt keine Milch? Das Haustier will nicht fressen? Da ist der Weg an die Tierärztliche Hochschule (TiHo) in Hannover meist vorgezeichnet. Doch die TiHo darauf zu reduzieren, wäre viel zu kurz gegriffen. Davon konnten sich die Mitglieder des Presse Club Hannover am 28. Februar 2023 beim Besuch vor Ort ein eindrucksvolles Bild machen.
Gegründet wurde die heutige Stiftungshochschule bereits 1778. Damals wüteten mit der Maul- und Klauenseuche und vor allem der Rinderpest wirklich schwerwiegende Infektionskrankheiten, die gut 90 Prozent der Rinderbestände dahinrafften. Entsprechend hoch angesiedelt war von Anfang an die Forschung an Behandlungsmethoden und wirksamen Medikamenten gegen das Infektionsgeschehen, berichtete Dr. Dr. h. c. Gerhard Greif, der Präsident der TiHo, der die Mitglieder des Presse Clubs an diesem Abend auf dem Campus-Gelände am Braunschweiger Platz zusammen mit einem ganzen Team von Wissenschaftlerinnen verschiedener Forschungsschwerpunkte und Kommunikationsprofis begrüßte.
Zweites großes Thema der ursprünglich am Clevertor angesiedelten Königliche Roßarzney-Schule: Die Behandlung und Heilung von Pferden. „Beide Tierarten waren seinerzeit von besonderer Bedeutung“, erläuterte Greif: Ohne Pferde ließen sich damals keine Kriege führen. Und ohne Rinder fehlten einerseits die entscheidenden Zugtiere in der Landwirtschaft und andererseits ein wichtiger Bestandteil der damaligen Ernährung.
Die Forschung an Infektionskrankheiten gehört nach Greifs Worten bis heute zu den elementaren Arbeitsfeldern der TiHo. So konnte zum Beispiel dank der Arbeit der Hochschule und anderer Einrichtungen die Rinderpest 2011 weltweit getilgt werden. „Möglich wäre das auch bei der Tollwut, wenn genug geimpft würde“, sagte Greif und bekräftigte: „Wenn wir konsequent gegen Masern impfen würden, könnten wir auch diese Krankheit restlos tilgen.“
Das zeige sich auch bei der noch sehr präsenten Corona-Pandemie: Mit den richtigen Impfstoffen ließe sich auch diese weltweite Bedrohung nach und nach in den Griff bekommen.
Überraschend viele menschliche Krankheitsbilder für eine tierärztliche Hochschule? Keineswegs, stellte Greif klar und verwies darauf, dass bei der Forschung sowohl im veterinär- als auch im humanmedizinischen Bereich zunehmend unter dem „One-Health“-Gedanken gearbeitet werde.
Die Corona-Forschung sei hier nur ein Aspekt. Auch die Arbeit gegen die zunehmenden Probleme, die mit der wachsenden Antibiotika-Resistenz bei Mensch und Tier einhergehen, sei in dieser Richtung unterwegs. Die TiHo forscht hier an Bakteriophagen. Darunter versteht man Viren, die ausschließlich Bakterien angreifen. Entdeckt und medizinisch nutzbar gemacht wurden sie bereits 1917. Später geriet ihr Einsatz gegen bakteriell indizierte Krankheiten angesichts des Vormarschs der Antibiotika immer mehr ins Hintertreffen. Jetzt könnte ihnen ein neuer Durchbruch bevorstehen, sagte auch Prof. Dr. Madeleine Plötz vom Institut für Lebensmittelqualität und -sicherheit, die erst kürzlich bei der Wahl zum Professor des Jahres 2022 den 3. Platz in der Kategorie Medizin & Naturwissenschaft belegt hat.
Plötz stellte die Arbeit der TiHo für die Verbesserung der Lebensmittelqualität vor. „Der Tierarzt ist berufen, (…) den Menschen vor Gefahren und Schädigungen (…) durch Lebensmittel (…) tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken“, heißt es in §1 der Bundes-Tierärzteordnung. Entsprechend weit gefasst ist das Thema an der Hochschule: Es reicht von der klassischen Lebensmittel- und Schlachttierbeschau über Auftragsforschung für die Industrie bis hin zu neuen Formen der Ernährung, wie zum Beispiel der Nutzbarmachung von Insekten als Nahrungsmittel. Letztere konnten die Mutigen unter den Besuchern übrigens selbst verkosten – klassisch in Form von knusprig zubereiteten Wanderheuschrecken oder als Snack in Form von zu Chips verarbeiteten Mehlwürmern.
Weiteres Highlight des Abends: Der Besuch des Clinical Skills Labs (CSL) in den Räumen der ehemaligen Kleintierklinik auf dem Campus-Gelände, in der angehenden Tierärztinnen (sie machen etwa 85 Prozent der Studierenden aus) und Tierärzte anhand von diversen Simulatoren die praktische Arbeit am Patiententier erlernen können. Das Angebot hier reicht von der perfekt nachgebildeten Hundepfote, an der die Blutentnahme und Verbandstechnik geübt werden können, über komplett nachgebildete Hunde und Katzen – teilweise in Form von Plüschtieren bekannter schwedischer Möbelhäuser – bis hin zum lebensgroßen Pferd oder zur Kuh, an denen Untersuchungen des Verdauungstraktes oder sogar die Geburtshilfe erlernt werden können, ehe der/die angehende Tierärztin/Tierarzt das erste Mal mit echten Patiententieren in Berührung kommt. Großer Vorteil des Trainings an den Simulatoren: Geht ein Griff daneben, bleibt das weitgehend folgenlos. „Gleichzeitig gewinnen unsere Studierenden schon viel Routine und gehen viel ruhiger an die ersten ‚echten‘ Behandlungen“, stellt Dr. Sandra Wissing, die Leiterin des CSL, gegenüber den interessierten Besuchern klar.
Geschult wird am Clinical Skills Lab aber auch noch ein ganz anderer Bereich: Die Kommunikation mit dem Patientenbesitzer. „Dafür setzen wir Schauspieler ein“, erläutert die Wissenschaftlerin beim Rundgang. Simuliert werden in einem entsprechend ausgestatteten und videoüberwachten Sprechzimmer das Überbringen schlechter Nachrichten, Gespräche über Geld (Tierarztbehandlungen können ohne passende Versicherungen schnell teuer werden) oder auch der Umgang mit schwierigen Tierhaltern. „Viele unserer Studierenden schätzen dieses Training ganz besonders“, sagt Wissing. Denn oft gebe es gerade vor den Patientengesprächen eine große Unsicherheit – „meist zu Unrecht. Denn oft sind unsere Studierenden bei der abschließenden Auswertung der Gesprächssituation überrascht, wie souverän sie die Situation meistern“, schildert Wissing weiter.
Faszinierend – so lautete am Ende des Besuchs, eigentlich wenig überraschend, das spontane Fazit eines der Teilnehmer. Und ebenso wenig überraschend ist die große Freude der anwesenden Mitglieder und Gäste des Presse Clubs darüber, dass die TiHo den Club gerne wieder als Gast begrüßen wird. Denn die gezeigten Stationen waren bei weitem nur ein winziger Bruchteil der Forschungsstätte mit ihren Standorten am Braunschweiger Platz (alleine 6 Hektar), am Bünteweg (60 Hektar), dem Lehr- und Forschungsgut Ruthe (230 Hektar) und den Standorten Bakum, Büsum und Quakenbrück. Wenn auch ein wirklich durch und durch faszinierender!
Bericht: Torsten Hamacher
Fotos: Thomas Borcholte und Thorsten Luhm