Vierzig seiner wichtigsten Lebensjahre stand er in Diensten des hannoverschen Hofes. Er wurde 70 Jahre alt, starb 1716. Wie war er als Mensch? Das verriet uns Eike Christian Hirsch bei einem hochinteressanten Clubabend am 20. September 2016.
Eike Christian Hirsch, „gelernter“ Theologe und Philosoph (Promotion über Kant), bekannter Buchautor, ehemals Kollege beim NDR, sollte an einem intimen Clubabend einmal aus dem Nähkästen plaudern. Das geriet vor „ausverkauftem“ Haus zum Besten. Die Idee hatte unser Veranstaltungsleiter Torsten Hamacher. Die Erschienenen, darunter Namen, genossen einen Clubabend des ganz besonderen Wohlfühlens, Köster-like eingestimmt.
Wenig ist über Leibniz selbst bekannt; man muss sich eine Vorstellung zusammenbauen. Darin ist Eike Christian Hirsch, der als führender Leibniz-Biograph gilt („Der berühmte Herr Leibniz“, C.H.Beck, 2000, 2016), ein Meister. Unterhaltsam machte er mit dem Hochgelehrten bekannt.
Leibniz, dem wir in der Philosophie, der Mathematik, der Technik so viel verdanken, war in sich gekehrt, ging ganz in geistiger Beschäftigung auf. Körperlich und stimmlich war er nicht mit Vorzügen bedacht. Nach Heiraten stand ihm nicht der Sinn, wie vielen seiner Zunft, wiewohl er durchaus ein Gefallen am Anblick der Weiblichkeit fand; angetan hatte es ihm die preußische Königin Sophie Charlotte, Tochter seiner Gesprächspartnerin Sophie. Heftige Gefühle zeigte er nicht, hielt sie gar für schädlich, „wie eine zu große Flamme, die das Öl in der Lampe verzehrt“. Auch hatte er keinen wirklichen Freund. Ein übliches Privatleben kannte er nicht.
Gegönnt hat er sich wenig. Auch noch dem Wein musste er schließlich entsagen wegen seiner Gicht. Über diese Entbehrung reimte er ironisch:
Seuffzer eines Podagrici bei anschauung eines glases mit wein
„Du Edles Traubenbluth, dein anblick ist zwar süße
Du stärckest häupt und Hirn; schwächst aber Händ und Füße.
Ich halte viel von dir, doch bistu mir zu scharff,
wohl deme, der dich liebt, und auch genießen darff.“
Hirsch beschreibt Leibniz so, als hätte er ihn persönlich gekannt. Der Workaholic leistete es sich nicht einmal, den Schreibtisch zum Essen zu verlassen. Manchmal schlief er tief in der Nacht an ihm ein, um am Morgen gleich weiterzuarbeiten. Die Forschung hat mit seinen Hinterlassenschaften, die das ganze Wissen seiner Zeit beinhalten, wohl noch bis 2050 ihr Tun.
Leibniz war ein Menschenfreund, sorgte für „Belehrung und Heiterkeit des Gemüts“. Doch würde heute auffallen, wie steif und vorsichtig er auftrat. Damals üblich; man wahrte seinen guten Ruf. Im Blick hatte er das Gemeinwohl. Seine Zugetanheit zeigte der in der Gelehrtenwelt europaweit Hochgeachtete mit seiner Arbeit. Er war tolerant, ließ andere gelten. Jedem billigte er seine eigene Perspektive und die eigene Meinung zu. Damals nicht üblich. Er war sanftmütig und ganz ungeschickt, Vorteile durchzusetzen.
Heimlich plagten ihn Ängste: bei einer Veröffentlichung einen Fehler zu begehen oder im Alter zu verarmen (er starb wohlhabend). Wenn es darauf ankam, zeigte er jedoch Mut, etwa wenn er gegen die Folter im Strafprozess auftrat oder sich für verfolgte Juden einsetzte.
Bericht: Fritz Oehler
Fotos: Torsten Hamacher