Mit seiner bildhaften Sprache, lebendigen Gestik und seinem profunden Wissen hat Alfred Büllesbach die Mitglieder des Presse Club Hannover am 20. Oktober 2015 unterhaltsam auf eine facettenreiche Zeitreise durch die Geschichte Deutschlands, des Fotojournalismus und der IT-Entwicklung mitgenommen.
Der Geschäftsführer der ältesten Fotografenagentur VISUM (gegründet 1975 von André Gelpke, Gerd Ludwig und Rudi Meisel) hat seine Fotografenausbildung im Lette-Verein Berlin absolviert, anschließend Publizistik studiert und ist seit 1993 bei VISUM. Die Agentur beschäftigt heute vier Teilzeitmitarbeiter, hat rund 100 Vertragsfotografen und arbeitet mit 12 Partnerorganisationen zusammen. Im Online-Bestand hat sie aktuell 450.000 Fotos, ihre Aufgabe ist der Verkauf von Nutzungs- und Abdruckrechten. Im Jahr 2001 legten sich die ersten VISUM-Fotografen Digitalkameras zu.
Essen, Hamburg, Hannover
In der Standortwahl der Agentur in den vergangenen 40 Jahren spiegelt sich die Geschichte des (Foto-) Journalismus: Was Essen in den 70er Jahren war, ist Hannover heute: die Nummer eins als Ausbildungsplatz für Fotojournalisten. Was Hannover gegenüber Essen aber auszeichnet: Die Stadt an der Leine zählt auch international zur Elite der Ausbildungsstätten. Hamburg war in den 80er Jahren schließlich das Mekka für Fotojournalisten, saßen dort doch die großen (Zeitungs-) Verlage, die Fotoreportagen in Auftrag gaben und finanzierten.
Der Umzug von Hamburg nach Hannover hat denn auch viel mit dem Wandel des Mediengeschäfts und der Dominanz des Internets zu tun. „Unser Wissen ist in Hamburg nicht mehr so bedeutsam. Als kleinere Fotografenagentur brauchen wir den engen Kontakt zu Fotografen, die ohne Auftrag arbeiten. Wir können jungen Fotografen im Austausch unser Wissen über die Branche vermitteln. Die Halle 96 als Standort zwischen dem hippen Wohnort Linden und der Hochschule auf dem Expo-Gelände ist genau richtig für uns“, sagt Büllesbach. VISUM lebe vom persönlichen Austausch mit Fotografen und von qualitativ hochwertigen und besonderen ausdrucksstarken Bildern, die nicht austauschbar seien. Die Entscheidung sei richtig gewesen, sowohl das Gründerzentrum auf dem Hanomag-Gelände sei inspirierend als auch der Kontakt zu den Studierenden.
Von Dias zu Digital
Seit Beginn der Digitalfotografie haben sich Berufsbild, Arbeitsbedingungen und Verbreitung von Bildern dramatisch gewandelt. Zwar galt damals wie heute, dass eine Agentur dann gut ist, wenn sie Fotos exklusiv hat. Die Zeit überdauert hat auch „das Herumstehen um Printausgaben und die gemeinsame Bildkritik“. Radikal geändert aber haben sich die Produktionsbedingungen, Sehgewohnheiten, Anforderungen an Bildqualität (Bedeutung der Hobby-Fotografen) und die Masse an vorhandenen Bildern: „Heute liegt alles in der Cloud, Verlage und Medienhäuser suchen Bilder mit Online-Recherchetools, laden sich Bilder von unserer Seite runter und wählen aus. Kommunikation findet nur selten statt – wenn z.B. jemand unserer Recherchetool nicht versteht.“
Fotoredakteure großer Zeitungen etwa sichten täglich bis zu 20.000 Bilder – genommen werden nur 0,3 %. „Der Ackermann-Verlag wirbt damit, dass er für 2.142 Kalendermotive rund 2,5 Millionen Bilder ausgewertet hat.“ Und wer ein Foto mit dem Motiv „Frau trinkt eine Tasse Kaffee“ google, finde 56.000 Treffer, für das Motiv „Mann trinkt eine Tasse Kaffee“ gebe es immerhin noch 10.000 Treffer.
Laut Büllesbach können Agenturen heute nur 2-4 Prozent ihrer Bilder verkaufen – und müssen immer neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Doch es scheint ein wenig wie Hase-und-Igel: Die Big-IT-Player haben die Nase immer wieder ein bisschen vorn: „Wir reden noch mit Kunden, schreiben E-Mails und haben oft eine veraltete Administration. Deshalb sind wir teurer als große Plattformen wie Fotolia und andere Microstock-Agenturen, die Stockfotografien (fertige Archivbilder) über das Internet zu günstigen Konditionen anbieten.“ So sei etwa ein Foto von VISUM mit dem Motiv „Frau trinkt Tasse Kaffee“ rund 96 Prozent teurer als von einer Microstock-Agentur. Und so geht VISUM behutsam neue Wege – etwa mit der Gründung einer Fotoschule oder der Herausgabe von Bildbänden im Eigenverlag, um eigene Bilder selbst zu vermarkten.
Lesen Sie auch die Texte zum Fotojournalismus von Alfred Büllesbach.
Bericht und Fotos: Katharina Kümpel