Ein Arbeiter des Meeres

Rolf Nobel in der Ausstellung "Arbeiter des Meeres"

Ende September besuchten knapp 30 Mitglieder des Presse Club Hannover die Galerie für Fotografie in Hannovers Südstadt. Auf dem Gelände der ehemaligen Eisfabrik zeigt die „GAF“ immer wieder herausragende Fotoreportagen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen. Noch bis Mitte Oktober stehen dort die „Arbeiter des Meeres“ im Mittelpunkt. 

Kopf und Macher hinter den faszinierenden Bildern ist Rolf Nobel. Der bekannte Fotojournalist, Dozent und Initiator des Lumix-Festivals hat über viele Jahre hinweg Fischern, Werftarbeitern, Seeleuten, Leuchtturmwärtern und anderen Berufsgruppen bei ihrer Arbeit fotografisch über die Schulter geschaut. So schuf er die Basis für die Ausstellung und einen gleichnamigen Bildband. Nun führte Rolf Nobel den Presse Club Hannover durch seine Ausstellung und erzählte dabei auf höchst charmante Weise die Geschichten hinter den Bildern.  

„Dass ich die Welt mit meinen Bildern und Texten nicht verändern kann, ist mir nach vielen Jahren im Einsatz bewusst“, sagt Rolf Nobel. „Heute habe ich einen anderen Anspruch: Ich möchte Menschen, die überlegen, etwas zu tun, den Anstoß geben, wirklich aus der Passivität ins Handeln zu kommen.“

Der der das sagt, ist seit vielen Jahren ein weitgereister Fotojournalist. Einer, der nirgends hinfährt, um ein paar Schnappschüsse zu machen und wieder zu verschwinden. Rolf Nobel ist einer, der genau beobachtet, der mit den Arbeitern schwitzt, durch den Dreck watet, der hinsieht. Einer, der das erlebt, was er selbst die „Solidarität der Arbeiter“ nennt. Gemeint ist damit der Punkt, wo die, die sein Interesse geweckt haben, merken, dass er wirklich ihre Geschichte erzählen und sie in die Welt hinaustragen möchte. Sie fassen Vertrauen in den Mann hinter der Kamera – und das, obwohl sie seine Sprache nicht sprechen und er nicht die ihre. Trotzdem nehmen sie ihn auf und zeigen ihm ihre Welt. 

So entstehen Fotos, die Magazine wie der Stern, Geo, Mare und andere begeistert abdrucken und die eine wirklich faszinierende, ja fesselnde Ausstellung in der Galerie für Fotografie bilden. Da ist zum Beispiel die Geschichte der „Eisenfresser“ von Alang. An einem gut fünf Kilometer langen Strand im nordwestindischen Bundesstaat Gujarat werden seit den frühen 1980er Jahren rund zwei Drittel der weltweit abzuwrackenden Schiffe zerlegt. Aus dem so gewonnenen Material wird der für den indischen Bau-Boom händeringend benötigte Baustahl hergestellt. Die zum Teil mehr als 35.000 Arbeiter gehen am Golf von Khambhat ihrem Tagwerk zum Teil mit den einfachsten Mitteln nach. Sie leben in einfachsten Verhältnissen, tragen Flipflops und haben meist keinerlei Schutzkleidung, während sie tonnenschwere Stahlplatten zerlegen – ein Alltag voller Gefahren.

Den Auftrag, diese Arbeit zu dokumentieren, bekam Nobel vor vielen Jahren von der Geo-Redaktion. Er bereiste die Region, erlebte das sogenannte Beaching – das Anlanden eines zu verschrottenden Schiffes von dessen Brücke aus – und begleitete die Arbeiter und deren Chefs über viele Wochen. Entstanden ist so eine Sammlung von eindrucksvollen Bildern. Sie zeigen alle Facetten vom Stolz der Arbeiter auf das eigene Tun, den heruntergekommenen Seelenverkäufern aus aller Herren Länder, die hier verschrottet werden, bis hin zum unfassbaren Reichtum der Werfteigener. Die Reportage bildete gleichzeitig die Basis für das namensgebende Projekt „Die Arbeiter des Meeres“, das Nobel seit vielen Jahrzehnten nicht wieder losgelassen hat.  

Nobel, selbst in Hamburg geboren und aufgewachsen als Sohn eines Schauermanns im Hamburger Hafen, entdeckte schon früh die ganz besonderen Berufe, die es nur entlang der Küsten unserer Meere gibt. Entstanden sind so zahlreiche Reportagen und Fotoreihen. Sieben davon hat Nobel zu einer Ausstellung und auch zu einem eindrucksvollen Buch zusammengefasst. 

Neben den Eisenfressern von Alang geht es zum Beispiel um den Fischfang vor den Stränden des Senegals, wo die Küstenfischer in einem der fischreichsten Gebiete der Welt zunehmend leer ausgehen. „Ihr Fang bringt ihnen oft nicht einmal mehr umgerechnet zwei Euro ein“, schilderte Nobel den interessierten Gästen des Presseclubs. Und er weiß auch, warum das so ist: „Seit die Fischfangindustrie auch aus Europa mit ihren riesigen Trawlern und deren gigantischen Grundschleppnetzen die Region konsequent leerfischt, wird den Küstenfischern die Existenz geraubt. Die Folge: Viele versuchen mit ihren maroden kleinen Fischerbooten über den Atlantik nach Europa zu kommen. Viele kommen dort nie an“, sagt Nobel. Und die, die den Ozean doch überleben, würden oft direkt zurückgeflogen, „weil der Senegal kein anerkannter Flüchtlingsstaat ist.“ Das Pikante daran: Die Fischfangflotten, die den Arbeitern des Meeres ihre Existenz vernichten, laufen zum Teil unter der Flagge derselben Länder, die hier so konsequent abschieben. 

Weitere Bildreihen zeigen die Geschichten der Seacoaler, die – oft höchst illegal – in der Region um Newcastle aus den Abfällen der britischen Kohleindustrie ihren Lebensunterhalt dem Meer entreißen, der Königskrabben-Fischer in Norwegen, die meist in nur drei Monaten ihr äußerst stattliches Jahreseinkommen verdienen, eines Leuchtturmwärters auf Vancouver Island in Kanada sowie der Pferdefischer in Belgien, die mit ihren riesigen Kaltblütern, meist umringt von Hunderten von Möwen, in fast stoischer Gelassenheit ihre Netze durchs flache Küstenwasser ziehen. 

Natürlich ist der Referent des Abends selbst längst ein „Arbeiter des Meeres“. Geschaffen hat Rolf Nobel mit dieser wohl persönlichsten Ausstellung seines Schaffens ein bildgewaltiges Denkmal für die Arbeiter des Meeres, jene Menschen, die oft ganz im Verborgenem ihrem harten Kampf ums eigene Überleben in den Küstengewässern dieser Welt nachgehen. Und deren Lebenswelt mehr und mehr einfach verschwindet. 

Text: Torsten Hamacher
Fotos: Thomas Borcholte, Rolf Nobel

Zu sehen ist die Ausstellung „Arbeiter des Meeres“ noch bis zum 12. Oktober in der Galerie für Fotografie. Geöffnet ist die GAF jeweils von Donnerstag bis Sonntag in der Zeit von 12 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.